Die Sprache des Rechts. Studien der interdisziplinären Arbeitsgruppe Sprache des Rechts der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Die dreibändige Schriftenreihe Die Sprache des Rechts stellt eine Summe des heutigen Forschungsstandes zu Sprache und Recht dar. Die wichtigsten Ansätze auf dem Gebiet der Rechtslinguistik werden gesichtet, gesammelt und ausführlich besprochen. Neben einer Vorstellung der Autoren und einer Verortung der einzelnen Beiträge im sprach- und rechtswissenschaftlichen Diskurs erfolgt eine Darlegung und Erörterung der aktuellen Forschungssituation, welche die Grundprobleme und Tendenzen der Forschung erkennen lässt. Dies erscheint umso notwendiger, als den mit dem Gegenstand befassten Sprach-, Rechts- und Sozialwissenschaftlern bislang ein Hilfsmittel fehlte, das sie unmittelbar an die Forschungsprobleme heranführt. Die Schriftenreihe soll Interessierten aller Fachrichtungen ein Arbeitsinstrument bieten, das sie rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand der Kenntnisse zur Sprache des Rechts informiert.
Die dreibändige Schriftenreihe Die Sprache des Rechts wird von dem Verlag Walter de Gruyter im Rahmen seines sprach- und gesellschaftswissenschaftlichen Programms betreut. Das Gesamtwerk umfasst 1.674 Seiten und enthält 66 Beiträge von Juristen, Linguisten, Germanisten, Anglisten, Soziologen, Psychologen, Philosophen und Schriftstellern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Frankreich, Italien, Norwegen und den Vereinigten Staaten.
Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht
An der Sprache des Rechts wird Kritik geübt, seit die Aufklärung die Verständlichkeit der Gesetze zu ihrem Anliegen gemacht hat. Mit den großen Kodifikationen des Rechts im ausgehenden 19. Jahrhundert hat die Kritik am angeblich schlechten, unverständlichen Juristendeutsch allerdings eine besondere demokratietheoretische Legitimation bekommen: es wird argumentiert, dass das Recht, da ihm alle unterworfen seien, auch für alle verständlich sein müsse. Diese Sprachkritik sucht seit den siebziger Jahren vermehrt bei der Linguistik um Rat, wie denn eine bessere Allgemeinverständlichkeit des Rechts verwirklicht werden könnte: so kam es zu einer Reihe von weithin beachteten interdisziplinären Projekten für eine “bürgerfreundlichere” neue Gesetzessprache, während an verschiedenen staatlichen Stellen der Gesetzesproduktion Sprachdienste geschaffen wurden, in denen Linguisten zusammen mit Juristen an der Redaktion von Gesetzen mitarbeiten. Den von großem Optimismus getragenen sprachkritischen Positionen stehen allerdings auch vorsichtigere Stimmen sowohl aus der Rechts- wie aus der Sprachwissenschaft gegenüber, die auch auf die Sprachwirklichkeit der Rechtswelt verweisen können, welche sich gegen die dahingehenden Bemühungen als doch recht resistent erwiesen hat. Die Debatte um die Verständlichkeit von Rechtstexten hat in den letzten Jahren durch das von der Rechtsprechung entwickelte und im Gefolge der Schuldrechtsreform auch in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommene “Transparenzgebot” noch an Bedeutung gewonnen, da nunmehr auch einzelne Vertragsbestimmungen daraufhin überprüft werden können, ob sie für den durchschnittlichen Verbraucher klar und verständlich sind. Man wird sehen, ob das Geheimnis des Verstehens diesmal wird gelüftet werden können. Rechtstheoretisch geboten scheint es aber, erst einmal die Grenzen der Möglichkeit aufzuzeigen, Recht zu verstehen. Nicht ausgeschlossen ist es dabei, dass eingehendere Reflexion es nahe legen wird, die heute in allen Mündern geführte Rede nach der Verständlichkeit der Norm nicht auch zu führen, sondern vielmehr die rhetorischen, ästhetischen und persuasiven Qualitäten der Rechtsgewinnung deutlicher herauszustellen.
Kent D. Lerch, Recht verstehen. Eine Vorbemerkung
Matthias Beltz, Mehr Literatur wagen!
Dietrich Busse, Verstehen und Auslegung von Rechtstexten – institutionelle Bedingungen
Ralph Christensen, Die Verständlichkeit des Rechts ergibt sich aus der gut begründeten Entscheidung
Ursula Christmann, Verstehens- und Verständlichkeitsmessung: Methodische Ansätze in der Anwendungsforschung
Gérard Cornu, Compréhension ou incompréhension du droit? Sombre verdict
Raffaele de Giorgi, Gott mit Bart / Gott ohne Bart
Hans Magnus Enzensberger, Von den Vorzügen der Unverständlichkeit
Stanley Fish, Recht will formal sein
Peter Goodrich, Grammatology in America. A Sketch of the Return of Philology in Legal Studies
Peter Häberle, Das Verständnis des Rechts als Problem des Verfassungsstaats
Silvia Hansen-Schirra und Stella Neumann, Linguistische Verständlichmachung in der juristischen Realität
Maximilian Herberger, Die Rede von der Verständlichkeit des Rechts in den Zeit des Internets im Internet
Rainer Maria Kiesow, Verständnis des Rechts
Wolfgang Klein, Ein Gemeinwesen, in dem das Volk herrscht, darf nicht von Gesetzen beherrscht werden, die das Volk nicht versteht
Wolf-Hagen Krauth, Systeme verstehen Systeme. Zur Debatte zwischen rechtstheoretischer und linguistischer Beobachtung des Rechts
Valerie Lasserre-Kiesow, Die Theorie der drei Fiktionen. Die Diskussion um die Verständlichkeit des Code Civil und des BGB
Kent D. Lerch, Gesetze als Gemeingut aller. Der Traum vom verständlichen Gesetz
Kent D. Lerch, Verständlichkeit als Pflicht? Zur Intransparenz des Transparenzgebots
Markus Nussbaumer, Von Schwärmern und Skeptikern und ein Versuch, Realist zu sein. Bilanz und Entwurf des Sprachspiels vom unverständlichen Gesetz
Regina Ogorek, “Ich kenne das Reglement nicht, habe es aber immer befolgt!“ Metatheoretische Anmerkungen zur Verständnisdebatte
Hubert Rottleuthner, Hat Dreher gedreht? Über Unverständlichkeit, Unverständnis und Nichtverstehen in Gesetzgebung und Forschung
Christian Schendera, Die Verständlichkeit von Rechtstexten. Eine kritische Darstellung der Forschungslage
Hans-Peter Schwintowski, Sprachwissenschaftliche Kriterien für das Transparenzgebot. Die Bedeutung interdisziplinären Arbeitens von Rechts- und Sprachwissenschaft
Thomas-Michael Seibert, Wie verständlich ist Unverständlichkeit? Nachrichten vom zweiten Code
Spiros Simitis, Verständlichkeit des Rechts – Illusion oder konkrete Utopie? Notizen zu einer end-, aber nicht sinnlosen Kontroverse
Dieter Simon, Rechtsverständlichkeit
Alexander Somek, Juristische Expertise
Alessandro Somma, “Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt”
Cornelia Vismann, Versäumnisurteile und andere Unverständlichkeiten
Ingo Warnke, Schwerverständlichkeitsannahme als Stereotyp. Die Differenz von Kenntnis und Beurteilung der deutschen Gesetzessprache
Uwe Wesel, Selbstverständlich
Recht verhandeln. Argumentieren, Begründen und Entscheiden im Diskurs des Rechts
Das juristische Alltagsverständnis von der Aufgabe der Gesetzesanwendung ist nach wie vor geprägt von der dem Rechtspositivismus verhafteten Vorstellung, es gelte nur, das Recht, das in den Rechtstexten enthalten sei, aus diesen herauszupräparieren, da dort die Entscheidung jedes einzelnen Rechtsfalls im Prinzip bereits vorweggenommen sei: durch “richtige” Auslegung “finde” man das richtige Recht und könne es dann “anwenden”. Kritik an dieser Vorstellung vom bloßen Auffinden und Anwenden des Rechts erfolgte erstmals in den fünfziger Jahren, als man sich auf die klassische Rhetorik als eine Argumentationstheorie zurückbesann, mit der sich zum einen leichter als mit traditioneller Semantik oder Logik begreifen lässt, was vor sich geht, wenn Juristen Entscheidungen fällen: weniger die mechanisch gedachte Ausführung eines Justizsyllogismus als vielmehr ein konstruierendes topisches Problemdenken. Auch lässt sich mit klassischer Rhetorik und moderner Argumentationstheorie analysieren und verstehen, was weitgehend unabhängig von der Urteilsfindung als dessen Begründung auftritt und in der Regel viel stärker auf Plausibilität und größtmöglichen Konsens denn auf deduktive Stringenz abzielt. Diesen Vorzügen verdankt es die Theorie der juristischen Argumentation, dass sie auch heute noch neben Hermeneutik und logisch-sprachphilosophisch orientierten Ansätzen als dritte wichtige Theorieströmung die juristische Methodendiskussion beherrscht. Angesichts dessen, dass sie sich weitgehend auf Theorierichtungen bezieht, die mehr oder weniger stark durch die sprachanalytische Philosophie der angelsächsischen Tradition beeinflusst sind, sind schon die sprachtheoretischen Grundlagen dieses Modells auch aus linguistischer Richtung diskutierenswert; von Interesse ist aber auch die pragmatische Seite der juristischen Argumentation, also beispielsweise der Aufbau einer Gerichtsrede oder bestimmte persuasive Techniken, so wie sie von alters in der Rhetorik studiert werden.
Kent D. Lerch, Recht verhandeln. Eine Vorbemerkung
Ralph Christensen, Die Paradoxie richterlicher Gesetzesbindung
Ralph Christensen und Michael Sokolowski, Die Krise der Kommunikation und die Möglichkeit juristischen Argumentierens
Norbert Groeben und Ursula Christmann, Argumentationsintegrität als Zielidee im Rechtssystem?
Ralf Gröschner, Justizsyllogismus? Jurisprudenz!
Kati Hannken-Illjes, „Keine Logik!“ – Das Aufeinandertreffen verschiedener Argumentfelder in strafrechtlichen Verfahren
Maximilian Herberger, Wie man beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte von der Logik spricht. Eine erste Sondierung
Ekkehard Hofmann, Formale Sprachen im Recht. Zur Durchschaubarkeit komplexer staatlicher Entscheidungen
Gregor Kalivoda, Juristische Rhetorik. Systematische, historische und interdisziplinäre Aspekte der forensischen Beredsamkeit
Matthias Klatt, Die Wortlautgrenze
Ulfrid Neumann, Wahrheit statt Autorität. Möglichkeit und Grenzen einer Legitimation durch Begründung im Recht
Zsuzsa Paradi, Zum Verwechseln unähnlich. Ein sprachwissenschaftlicher Beitrag zur Argumentation in Markenrechtsurteilen
Katharina Gräfin von Schlieffen, Zur topisch-pathetischen Ordnung juristischen Denkens – Resultate empirischer Rhetorikforschung
Jeannette Schmid, Wie man den Eindruck von Glaubhaftigkeit erweckt – Psychologische Anmerkungen zur Sachverhaltsdarstellung
Thomas-Michael Seibert, Aktuelle Stile der Gerichtsrede
Hans-Joachim Strauch, Rechtsprechungstheorie. Überlegungen zu einer Theorie richterlicher Rechtsanwendung
Gerhard Struck, Eristik für Juristen – Konzeptuelle Überlegungen und praktische Beispiele
Harald Wohlrapp, Argumente stehen in einem Text nicht wie Gänseblumen auf der Wiese herum. Eine Kritik an Katharina Sobotas empirischer Rechtstextanalyse
Recht vermitteln. Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht
Die Verständigung darüber, was Recht und was rechtens ist, ist an das Medium der Sprache gebunden. Die lokale Verständigung über Erwartungen und Abweichungen wird dabei ersetzt durch ein sprachliches System von Rechtsnormen und Verfahrensregeln, welches die systematische Bearbeitung der Verletzung von Erwartungen und ihrer Folgen erlaubt. Rechtslinguistisch ist insoweit von Interesse, welche typischen Eigenheiten die rechtliche Kommunikation unter ihren spezifischen institutionellen Bedingungen hat, welche kommunikativen Rollen die Institution den verschiedenen Akteuren aufprägt und wie die Personen diese Rollen ausfüllen; gleichermaßen fragt sich, welche Verständigungsprobleme sich mit dem Zusammentreffen von Experten und Laien ergeben. Seit den siebziger Jahren gibt es zu dem weiten Problemkomplex der Kommunikation im Recht auch im deutschsprachigen Raum eine intensive Forschung mit wechselnden theoretischen und methodologischen Ansätzen: Konversationsanalyse, Ethnomethodologie, Handlungstheorie und Institutionentheorie. Während ältere Arbeiten Gerichtsverhandlungen vor allem als verbales Kampfgeschehen konzipierten, finden sich in den jüngeren Untersuchungen auffällig viele Arbeiten, die den unterschiedlichen Perspektiven und Sachverhaltskonstruktionen nachspüren. Die Kommunikation vor Gericht wird in dieser Optik zu einem Geschehen, in dem unterschiedlichen Weltsichten aufeinanderprallen und es darum geht, welche warum obsiegt und den Weg ins Urteil findet (“Legal Storytelling”). Gleichfalls von Interesse ist des weiteren die erst in den letzten Jahren entwickelte Medientheorie des Rechts, welche von der Annahme ausgeht, dass die Formen und Inhalte der Rechtskommunikation konstitutiv mit den Medien der Rechtskommunikation verknüpft sind, da Verbreitungsmedien zugleich als Speicher der Kommunikation fungieren, als Archive, die ihrerseits die Gedächtnisformen des Rechts strukturieren und damit sowohl die Bedingungen der wiederholten Verwendbarkeit rechtlichen Wissens konditionieren als auch den Grad der Neigung, tradierte Rechtsbestände zu variieren und Innovation zu ermöglichen.
Kent D. Lerch, Recht vermitteln. Eine Vorbemerkung
Max Baumann, Weg vom Text, oder: Plädoyer für einen breiteren Weg vom Text zum Verstehen
Dietrich Busse, Ist die Anwendung von Rechtstexten ein Fall von Kommunikation? Rechtslinguistische Überlegungen zur Institutionalität der Arbeit mit Texten im Recht.
Ralph Christensen und Kent D. Lerch, Performanz – Die Kunst, Recht geschehen zu lassen
Ekkehard Felder, Alltagsweltliche und juristische Wirklichkeitskonstitution im Modell der Juristischen Textarbeit. Ein sprachhandlungstheoretischer Beitrag zur Kommunikation im Recht
Kent D. Lerch, Justitia im Bett des Prokrustes. Sinn und Unsinn der linguistischen Analyse von Rechtstexten
Andreas Lötscher, Gesetze als Texte: Wie wird Recht in Textstrukturen gebracht?
Matthias Mahlmann, Mentalistische Perspektiven auf Sprache und Recht
Heinz Messmer, Zur kommunikativen Neutralisierung sozialer Konflikte in den Verfahren des Rechts
Klaus F. Röhl, Bilder in gedruckten Rechtsbüchern
Thomas Scheffer, Materialitäten im Rechtsdiskurs. Von Gerichtssälen, Akten und Fallgeschichten
Ingrid Simonnæs, Fachkommunikation im Recht unter Berücksichtigung der Mehrfachadressierung
Alexander Somek, Die Macht der juristischen Expertise. Rechtliches Wissen als Steuerungsmedium
Fabian Steinhauer, Die Rückkehr des Bilderstreites ins Rechts
Ingo Warnke, Zwischen universalem Anspruch und partikulärer Geltung. Das sprachliche Prinzip der Zwei-Ebenen-Kommunikation in Menschenrechtsdeklarationen
Stephan Wolff, Gepflegte Intransparenz. Zur Funktion von Ironie in der Kommunikation vor Gericht
Zur Schriftenreihe Die Sprache des Rechts
Die drei Bände der Schriftenreihe Die Sprache des Rechts sind erschienen beim Verlag Walter de Gruyter und im Buchhandel erhältlich:
Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht
Berlin, New York 2004. XX, 466 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-018142-8
Recht verhandeln. Argumentieren, Begründen und Entscheiden im Diskurs des Rechts
Berlin, New York 2005. XXIV, 598 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-018398-6
Recht vermitteln. Strukturen, Formen und Medien der Kommunikation im Recht
Berlin, New York 2005. XXVI, 540 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-018400-1